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Angst als Guru. Ein Gastbeitrag von Andreas Krüger.

25 Jahre lang

erlag ich der Wahnidee, ein Leben ohne Angst führen zu wollen. Ich habe zahllose Therapien gemacht und noch mehr Mittel geschluckt, um einen erleuchtungsähnlichen Zustand ohne Angst zu erreichen. Dann bin ich im Sommer 2002 schwer erkrankt – manche sagen, es war eine Schamanenkrankheit, andere sagen, es war ein klassisches burn-out, auf jeden Fall war es furchtbar: Ich war so von Angst erfüllt, dass ich mich nicht mehr aus dem Haus bewegen konnte. Die Angst saß in jeder Faser meines Leibes. Die alten Mystiker nennen es das dunkle Tal der Seele. Dank liebevollen und nie verzweifelnden Therapeuten und Freunden ist es mir gelungen, diese Angst zu durchwandern und eines Tages – sogar astrologisch nachvollziehbar am 1. Juli 2003 – hörte mein Hauptsymptom der völligen Schlaflosigkeit von einem Tag auf den anderen schlagartig auf. Nach dieser Krankheit war ich so angstfrei wie noch nie in meinem Leben und das ist bis heute so geblieben.

Guru Angst
Nachdem ich am Ende des dunklen Tals angekommen war, habe ich ein Gedicht mit dem Titel „Guru Angst“ geschrieben, in dem ich mich bei der Angst entschuldigte, mein Leben lang versucht zu haben, vor ihr wegzulaufen. Von diesem Tag an habe ich die Angst über alle meine anderen Gurus gestellt – und das sind nicht wenige. Ich versprach mir und meiner Angst, dass ich ihr dankend folgen und sie zelebrieren werde und immer, wenn sie mir mit ihrem Kyusakustab – der Stab, der einem im Zen auf den Rücken geschlagen wird – auf meine Schulter schlägt, werde ich mich demütig verneigen und darüber nachdenken, was sie mir offenbaren will.

Angst ist Gnade
Ich kann für mich sagen, dass Angst Wachstum ist. Und seitdem ich das so empfinde, habe ich immer weniger Angst, weil ich immer weniger Wachstumsblockaden habe und weil ich weniger Schatten und dadurch mehr Licht werfe. Also muss ich nicht mehr das, was ich nicht haben will und was mir Angst macht, auf andere Menschen projizieren, damit sie mir das spiegeln. Das fällt bei der Haltung von „Angst – ja bitte“ einfach weg. Ich glaube, dass wir mit dieser Haltung 90% der Aggressionen in unserer Gesellschaft heilen würden. Wenn die Deutschen und die Franzosen mal ein paar Workshops gemacht hätten, in denen sie sich einfach erzählt hätten, wie viel Angst sie voreinander haben, dann wären uns vielleicht zwei Kriege erspart geblieben. Die Menschen haben Angst und weil die Angst nicht sein darf, bringen sie sich um. In unseren Ehen hauen sich immer nur ängstliche Kinder die Köpfe ein – es streiten sich keine entwickelten, 55-jährigen Erwachsenen. Wenn früher meine Frau zu mir sagte: „Wie sieht es denn hier schon wieder aus?“, habe ich mich total aufgeregt. Heute weiß ich, dass es die Angst des kleines Kindes vor Kuschelentzug war, denn als Kind drohte meine Mutter mir: „Und wenn du heute nicht den Goldhamsterkäfig sauber machst, werde ich dich heute Abend nicht kuscheln!“

Angst vor Verrat
Neulich war das Fernsehen in der SHS und hat für Spiegel-TV vier Stunden lang gefilmt. Ich war begeistert. Mein Lebenstraum ist eine wöchentliche Sendung wie die von Pfarrer Fliege mit dem Titel „Voodoo-Wolf-over-Berlin“, am besten montags nach den Tagesthemen mit Gesprächen über Gott und die Anderswelt. Die Reaktionen der meisten Kollegen auf den realen Besuch des Fernsehteams waren – mit nur wenigen Ausnahmen – eher verhalten: „Mach das nicht.“ „Die machen uns fertig.“ „Du wirst danach ermordet. Da kriegt die Pharmaindustrie Angst vor dir.“ „Ein Tag nach diesem Film melden sich sechs von deinen Schülerinnen und behaupten, du hättest sie auf dem Fotokopierer vergewaltigt.“ Ich konnte die Ängste verstehen, aber nicht teilen. Auch wenn die meine Aussagen so zusammenschneiden, dass sie mich zum Narren machen, werden diejenigen, die das mit offenen Herzen sehen – und nur um die geht es mir – mitkriegen, dass ich ein relativ harmloser Kerl bin.
Das Problem ist nicht, dass wir zwanghaft oder depressiv sind, sondern dass wir fixiert sind, weil die Angst so stark war, dass wir irgendwo hängen geblieben sind. Ziel ist, die Angst als normalen Wahrnehmungsfaktor zu sehen. Sie zeigt mir, wo etwas nicht stimmt. Wichtig ist, dass die Angst aus ihrer Fixation kommt – egal ob sie entstand, weil ich mit zwei Jahren alleine im Krankenhaus lag oder vor 200 Jahren als Freiheitskämpfer erschossen wurde.

Der Autor Andreas Krüger ist Heilpraktiker, Schulleiter und Dozent an der Samuel-Hahnemann-Schule in Berlin für Prozessorientierte Homöopathie, Leibarbeit, Ikonographie & schamanischer Heilkunst, www.Samuel-Hahnemann-Schule.de
Ich (Katrin) freue mich sehr, dass ich diesen Gastbeitrag hier veröffentlichen darf. Er ist so hilfreich, in seiner erlebten und gelebten Weisheit!

Angst als Überlebensimpuls
Günter Ammon, der Begründer der dynamischen Psychotherapie, hat einmal einen Satz gesagt, den ich jahrelang abgelehnt hatte, der aber absolut wahr ist: „Wo die Angst ist, da geht es lang.“ Ich behaupte (ohne Ethnologe zu sein), dass die Spezies Mensch es ihrer Angst zu verdanken hat, überhaupt noch zu leben. Wir sind körperlich nicht besonders gut geschützt – haben weder Panzer noch Borsten oder Stacheln. Außerdem sind wir relativ langsam und haben eine eher komplizierte Form der Fortpflanzung. Aber wir haben etwas, was uns von allen anderen Lebewesen unterscheidet: Wir haben Angst. Und aus dieser Angst heraus ist Kultur entstanden.

Angst und Aggression
Wenn man den Gedanken „Angst als Überlebensimpuls“ noch weiter entwickelt, dann ist Aggression erst dann entstanden, als die Menschen die Angst nicht mehr haben wollten. In meinem Leben und auch in dem meiner Klienten ist es jedenfalls so, dass ich nur dann zornig werde, wenn ich meine Angst nicht fühlen und nicht kommunizieren kann. Trotz wirklich zahlreichen Therapiestunden kam es in Supervisionen immer wieder vor, dass ich vor einem Kollegen saß und ihm eine Drohung ins Gesicht brüllte. Damals für mich ein Fortschritt, nachdem ich aus einer 40 Jahre währenden völligen Aggressionshemmung ausbrach. Es war auch eine Zeit, in der ich neue Krafttiere bekam: zwei Raptoren! Raptoren sind Raubsaurier – extrem fies, sehr schnell und absolut bösartig. Vorher hatte ich als Krafttiere immer so etwas wie Seekühe oder schwangere Wale oder Elche. Aber nach meiner Krankheit kamen eine Kreuzspinne und die beiden Raptoren an meine Seite. Später habe ich mich mehrmals bei dem Kollegen entschuldigt und heute weiß ich, dass ich ihn benutzt habe, damit er mir das zeigt, wovor ich am meisten Angst habe. Das wollte ich in mir töten und deshalb bin ich in den Zorn gegangen. Wenn wir es schaffen, die Angst als tiefsten Überlebensimpuls zu ehren und dann hinzusehen, wo sie herkommt und was der Teil in mir braucht, der diese Angst hat, dann müssten wir uns nicht mehr bekriegen. Die Frage bei jeder Wutattacke sollte heißen: Wie kann ich das ängstliche Kind liebevoll an die Hand nehmen? Ich glaube, dass alle Therapien, die versuchen angstfrei zu machen, Energie in die Angst investieren.

Ursachen der Angst
Um eine Therapie erfolgreich zu machen, ist Angst ein wichtiger Ankerpunkt. Wir müssen uns zum Verbündeten der Angst und die Angst zum Guru machen. Und dann schauen: Ist die Angst adäquat oder hat das dreijährige Kind Angst? Oder der Embryo, der gerade versucht wird abzutreiben? Oder ist es eine Angst, die ich aus einem früheren Leben mitgebracht habe?
Ich mache seit ein paar Wochen Yoga und liebe die Gesten, die mich in die Weite bringen. Vor fünf Jahren hätten mir dieselben Gesten noch Angst gemacht, weil ich dachte, dass schreckliche Sachen passieren, wenn ich mich in meiner vollen Größe zeige. Dann werde ich sofort von kleinen Männern ans Kreuz genagelt – was mir angeblich schon öfter passiert ist. Wenn ich sage, dass ich Schöpfer meiner Realität bin, kommt sofort die Inquisition – auch heute noch. Ich werde immer wieder für meine Schöpfergedanken kritisiert: „Hochmut“, „Häresie“, „ich schaffe Gott ab“ – ja, stimmt, das hat schon Nietzsche getan und auch Steiner, als er sagte, dass Gott sich in Golgatha letztendlich als Person aufgelöst und in alle Menschen verströmt hat. Ich habe mich lange nicht getraut, den Schöpfergedanken auf meine Visitenkarte zu schreiben. Als von einem Profi der Vorschlag kam, ich solle „AvaTäterische Seelenheilungsarbeit“ darauf schreiben, bekam ich danach erst einmal eine halbe Stunde Durchfall und hatte einfach nur Angst. Dann habe ich meditiert und wurde mit Bildern von Kreuzigungen bombardiert. Als ich anschließend einen anderen Profi bat herauszufinden, wie viele Seelenverluste ich durch Kreuzigung hatte, bekam ich als Antwort: vier Stück. An diesem Abend bat ich noch einmal Profis um Hilfe: Ich wollte mit den Schülern der Ikonenausbildungsgruppe eine Seelenrückholungsaufstellung für mich machen. Es hat funktioniert: Seitdem sind die Seelenanteile wieder bei mir und brauchen keine Angst mehr vor Kreuzigungen zu haben. Am nächsten Tag konnte ich die Gestaltung der neunten Visitenkarte völlig angstfrei angehen.

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