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Hochsensibel & Emphatisch: Wenn Nähe sich gefährlich anfühlt.
„Wenn Nähe sich gefährlich anfühlt!“
Eine Ursachenerforschung: Narzissmus als Entwicklungstrauma oder Parenting the parents, the loss of the body, the loss of self.
Dieser Artikel ist sehr lang. Vielleicht bevorzugst Du ihn als PDF.
Das Thema Nähe und Beziehung wird für viele hochsensible Empathen zu einem riesigem Knoten in ihrem Leben. Zu einer Last. Das muss nicht so sein.
Im Folgenden möchte ich ein wenig über die Ursachen für die teils sehr grosse Ambivalenz von hochsensiblen Empathen zu Nähe sprechen und persönliche, aber ins Besondere auch Erfahrungen aus meiner Praxis dazu mit Dir teilen.
Denn frei nach Platon + Katrin darf gelten:
„Das wofür ich Worte (+Körpererfahrungen) habe, kann ich hinter mir lassen!“
Abgesehen von der speziellen neurobiologischen Grundausstattung einer hochsensiblen Person, die es ihr unmöglich macht, die feinen Antennen einfach mal einzufahren, weil „ihr Gehirn dafür gemacht ist andere wahrzunehmen und zu interpretieren“ (Andre Solo, The difference between the highly sensitive brain and the normal brain.), ist meiner Meinung nach eine der grundlegendsten Ursachen für die teils disproportionale Angst vor Nähe und Beziehung, in dem Thema Parentifizierung bzw. Parenting the Parents zu finden.
Dies möchte ich für Dich im Folgenden gern ein wenig aufschlüsseln.
Oftmals sind beide Elternteile bzw. Bezugspersonen des hochsensiblen, hochempathischen Kindes traumatisiert und/oder haben unbewusste Schattenanteile, die sie noch nicht bearbeitet bzw. in ihr Bewusstsein gerufen und integriert haben – aus Vermeidung, Mangel an Bildung und Bewusstsein, als Teil einer bestimmten Generation (Kriegs/Nachkriegsgeneration), aus Jugendlichkeit (Unreife) und anderen Gründen.
Meine Oma lag’ Anfang der 70er Jahre schreiend und um Hilfe rufend auf dem Sofa. Selbst Ärzte konnten sich gar nicht erklären was mit ihr los war. Sie wurde ja nur von den Russen vertrieben, vergewaltigt…da gab’ es zu dem Zeitpunkt nur Hilflosigkeit, Wegschauen, Weitermachen.
Instabiles Selbst
Was sich daraus ergibt ist, dass sie kein stabiles, erwachsenes Selbst entwickelt haben, sondern tendenziell ihre Wunden, das unbewusste Trauma, wegdrücken und Kompensationsmuster und Kompensationsrollen darüber legen.
Man kann sagen: Dieser Mensch wird nicht wirklich erwachsen. Mit erwachsen beziehe ich mich hier auf einen Menschen, der ein Bewusstsein über sein gesamtes Sein hat und Verantwortung für all diese Facetten übernimmt statt Verantwortung nach Aussen abzugeben. (Mir geht es schlecht, weil Du, die Welt…).
Wir haben es dann mit zwei konditionierten Kindern zu tun, die ihre Konditionierungen und Wunden noch nicht angeschaut, verdaut und integriert haben. Sie bleiben infantil, was zur Folge hat, dass sie zur Stabilisierung ihrer Identität immer etwas von ‚Aussen’ benötigen werden, damit das tiefe Loch im Selbst nicht gespürt werden muss.
Das macht Beziehung natürlich dramatisch-problematisch, da der oder die andere immer ‚richtig‘ sein muss, um den anderen zufrieden zu stellen bzw. damit keine unangenehmen Empfindungen aus dem Trauma auftauchen.
Mich macht das traurig. Denn dieser Mensch kann so nie in die eigene Wesens-Grösse wachsen, die es ihm erlauben würde aus sich selbst heraus Fülle zu spüren, unkonditioniert zu lieben und zu erfahren wie es sich anfühlt um seiner Selbst willen geliebt zu werden.
Ein Kind kommt auf die Welt
Nun bekommen diese zwei Personen ein Kind. Das Kind ist, für uns klar, eine gänzlich neues, individuelles Wesen mit ganz eigenen Qualitäten, Charaktereigenschaften usw. Letzteres kann aber von den Eltern oder Bezugspersonen in meinem Beispiel nicht vollständig wahrgenommen werden, da sie in sich selbst noch nicht vollständig sind.
Ganz platt und um es auf den Punkt zu bringen: Das Kind wird zu einer Verlängerung des Elternteils/der Eltern. Unbewusste Schattenanteile, Unverarbeitetes wird auf das Kind projeziert und als ‚das Kind‘ wahrgenommen. Im Grunde ringt dieser Mensch aber mit sich selbst. Ausserdem hat das Kind die Aufgabe sich in einer Art und Weise zu verhalten, dass das Trauma und damit die stabilisierte Identität nicht getriggert wird.
Bessel van der Kolk führt in seinem Buch ‚The body keeps the score’ ein eindrückliches Beispiel auf:
„Betreuende Personen bemerken oft gar nicht, dass sie ‚out of tune‘ sind: Eine junge Mutter spielt mit ihrem 3 Monate altem Kind. Alles läuft gut, bis das Kind sich zurückzieht und seinen Kopf wegdreht um mitzuteilen, dass es eine Pause benötigt. Aber die Mutter liest das Signal nicht. Stattdessen intensiviert sie ihre Mühe ihn wieder zu involvieren, indem sie ihr Gesicht nah an seins bringt und ihre Stimme lauter wird. Daraufhin versucht er weiter auszuweichen. Sie antwortet mit stupsen und wippen. Am Ende schreit das Kind lauthals. An diesem Punkt setzt die Mutter ihn ab und geht weg. Sie wirkt niedergeschlagen. Sie fühlt sich offensichtlich schlecht, aber hat einfach nur die Signale nicht gelesen. Man kann sich leicht vorstellen wie dieses ‚nicht-lesen‘ zu einer chronischen Distanz in ihrer Beziehung wird und sie ihr Kind als ‚schwieriges Kind‘ wahrnimmt.“
Das heisst, dass das Kind das infantile Verhalten ‚mitträgt‘, da es ja von Kontakt und Zuwendung der Eltern existentiell abhängig ist.
‚Ich bin da um das Loch zu füllen’: Das Kind wird eine gute Zuhörerin, Therapeutin oder gar eine gute Mediatorin zwischen ihren beiden Bezugspersonen. Eine Klientin von mir sagt zum Beispiel: „Ich war immer die Anwältin meines Vaters.“
Rollentausch in der symbiotischen Beziehung: Das Kind als Objekt um den eigenen Wert spüren zu können.
Die Rollen vertauschen sich also: Mama oder/und Papa sind die (grossen) Kinder, das Kind ist damit beschäftigt diese zu ‚bemuttern‘.
Es kann dann zum Beispiel wichtig sein, dass Mama oder Papa Komplimente für das Verhalten, das Können, das Aussehen des Kindes bekommen um den eigenen Wert wieder zu spüren. Um das schaffen zu können müssen die ‚Antennen‘ des Kindes stets draussen bzw. auf der Hut sein (fight or flight) bzw. muss es die Eltern lesen können, denn es gilt: „Sind sie ok, bin ich ok.“
Das Kind spürt deutlich, dass etwas total falsch läuft, das es heillos überfordert ist, wie der kleine Junge im Beispiel von van der Kolk. Es bezieht es zunächst 1:1 auf sich, ohne dies überhaupt benennen zu können oder schon Worte dafür zu haben. Weiterhin dürfen wir nicht vergessen, dass das Kind für die ersten drei Jahre kein klar getrenntes ICH-Gefühl erlebt, sondern ein „das da draussen, das ist auch hier drinnen. Das bin ich.“
Eine Klientin, die das Gefühl hat, dass sie Beziehungen nicht ‚halten‘ kann bzw. das Gefühl hat, das Kontakt immer ins ‚Leere‘ läuft sagt, als Erinnerungen an ihre Mutter hochkommen: „Ich glaube meine Antennen waren einfach immer draussen. Ich fand gar nicht statt.“ Ihre Mutter war traumatisiert, noch in Kriegszeiten geboren. Sie war physisch da, aber gleichzeitig abwesend. Das Kind hat die Antennen ausgestreckt, aber dort ist nur eine Leerstelle, weil das, was spürbar wäre so tief in der Mutter verkapselt ist.
Weiterhin ist meine These, dass dieses Erleben für HSP EmpathInnen auch nach den ersten 3 Lebensjahren bestehen bleibt, auch wenn es dann auch ein zumindest rational lokalisierbares ICH gibt. Wobei das aufgrund der beschriebenen Umstände und eventuellen weiteren Traumatisierungen so verschwommen sein kann, dass es zu Störungen in diesem ICH Erleben kommen kann. (Borderline o.Ä.)
Wie kann ich diese Dynamik feststellen?
Die Reaktion eines Elternteils oder beider ist stets und ständig disproportional gross/dramatisch/abwesend in Bezug auf ganz alltägliche Dinge. Es ist wie eingewoben in die Dynamik, statt dass es sich um einzelneEreignisse handelt. Alles wird persönlich genommen: Die Mutter in Van der Kolk’s Beispiel wendet sich von ihrem Kind ab, weil sie sich als Versagerin fühlt.
Oder in Kommentaren wie: ‚Wie siehst Du denn schon wieder aus?!“ oder „Was? Er hat nur eine 3+ in Geschichte“ und der Vater sitzt am Tisch als wäre er mit einem Schwert direkt ins Herz getroffen, als hätte der Sohn es nur ‚getan‘ um ihn zu verwunden und seinemAnsehen zu schaden. Eine (erwachsene) Klientin bittet ihre Mutter anzuklopfen bevor sie in ihr Zimmer kommt. Ihre Mutter reagiert beleidigt und aggressiv. Oder mit einer Art Blackmailing: Ja, dann habe ich jetzt auch keine Lust mehr. Wir müssen uns in Zukunft auch nicht mehr alles erzählen!“
Eine andere Variante, in der die Rollen eben nicht vertauscht wären, wäre vielleicht: „Hey, ist alles ok bei Dir? Wie geht es Dir? Möchtest Du darüber sprechen? Hey, gut gemacht! Bist DU zufrieden mit Deinem Resultat?“
Weiterhin erlebt dieses Kind, die Heranwachsende, Ablehnung, Mobbing (Gaslighting: die eigene Wahrnehmung wird Dir konstant abgesprochen als ‚Quatsch‘, ‚Unsinn‘, ‚falsch und albern‘ abgetan); oder es kommt zum Kontaktabbruch, wenn es eigene Interessen oder Gefühle anspricht bzw. seine eigene, natürliche Bedürftigkeit zeigt.
Beispiele:
Ein Mädchen erlebt im Alter von 15 Jahren einen Nervenzusammenbruch, sitzt weinend für 3 Monate zu Hause, kann einfach nicht mehr (weil sie ja selbst immer in sich Raum für andere und sich dafür weg machen muss) und muss aber trotzdem noch diejenige sein, die zur Mama sagt: „Ich verstehe es ja auch nicht. Es tut mir leid. Ich habe Dich doch lieb!“ – Die Mutter sitzt ablehnend und kalt da; kein Gespräch, keine Hilfe, keine Zärtlichkeit. Klar: Hier wird an die eigene Bedürftigkeit, die eigene ungelebte Trauer und vor allem, die eigene OHNMACHT angerührt, denn das Kind puffert gerade nicht mehr.
Diese (Familien-) Dynamik ist so stark, dass sie sich auch viel später immer wieder re-inszeniert sofern sie nicht ‚aufgelöst‘ wird. So zum Beispiel bei einer Klientin von mir (knapp 40 Jahre alt): Sie besucht ihre Eltern und möchte zum ersten Mal über sich, ihr Leben sprechen. Just in dem Moment erleidet ihr Bruder unten im Auto einen epileptischen Anfall. Ihr Selbst hat wieder keinen Raum. Ein paar Stunden später erlebt sie ihre erste Panikattacke, die sie darauf aufmerksam machen will, dass Kompensation (Helfersyndrom/immer für alle anderen sorgen, immer lächeln) oder ein sich wegdeckeln nicht mehr gehen wird.
Das wegdeckeln von uns selbst kostet wahnsinnig viel Energie und Lebenskraft. Das ist meistens der Grund für ein burn-out.
Während einer Craniosakral Behandlung bitte ich eine Klientin ihr ganzes Gewicht an mich abzugeben, während meine Hand unter ihrem Kreuzbein ruht. Es ist ihr kaum möglich und ich sage:“Ich achte auf mich selbst, das brauchst Du nicht! Du darfst jetzt ganz bei Dir bleiben“. Das trifft sie wie ein Blitz und sie ist zum ersten Mal so entlastet, dass sie in Tränen ausbricht. „Ich darf ganz bei mir bleiben (und bin trotzdem gesehen und gewollt)!“
Das symbiotische bzw. absorbierende Dreieck.
Nehmen wir das obige Bild nochmal als Beispiel für das, was ich Absorption nenne:
Mama – Papa – Kind:
Mama hat die Kompensationsrolle ‚Opfer‘ (wobei alle Kompensationsrollen Opferrollen sind, sie haben nur eine unterschiedliche Gestalt): „Keiner sieht mich, lobt mich, ist für mich da, die Welt ist gemein.“
Der nach Aussen abgespaltene Ausdruck, der jedes Mal kommt, wenn sie ihren vermeintlichen Mangel, das Unangenehme in sich selbst spürt:
„Das ist Eure Schuld! Wenn ich Dich nicht bekommen hätte, wenn Dein Vater nicht so ein Looser wäre oder in Jammerei: So etwas Schönes habe ich ja nie bekommen. Ihr benutzt mich nur…“
Der Vater: ‚Der Retter‘ oder ‚der Brave‘, der sich hart oder ganz klein macht. Er spaltet zwar keine Schattengefühle an sein Umfeld ab, aber er agiert durch Schweigen, Ignorieren oder durch brav sein. Für ihn zählt vielleicht: Es ist immer alles gut. Und es ist wichtig, dass man das auch nach Aussen so sieht. Wir zeigen keine Schwäche! Sag’ bloss nichts! (=um Mama nicht noch weiter zu verärgern = halt es bitte aus und trag’ es mit, auch wenn Du siehst, was für ein Unheil das ist und auch wenn es bedeutet, dass Du michaufbauen musst!)
Das Kind ‚puffert‘ bzw. stabilisiert diese Dreiecks- bzw. Familiendynamik, in dem es die Kompensationsrollen ‚akzeptiert‘ und auch das, was unterschwellig spürbar ist, mitträgt: Was braucht Mama damit es ihr gut geht? Was braucht Papa?
Wie könnte es anders sein?
Wenn der Vater sich selbst bewusster gewesen wäre, würde er sich der Mutter zuwenden, statt dass das Kind puffert und vermittelt. Wenn ich zum Beispiel mit der Klientin, die immer die ‚Anwältin ihres Vaters‘ sein musste arbeite und sie frage: „Wie wäre es, wenn Dein Vater gross und stark gewesen wäre und ihr Verhalten unterbunden hätte?“ „Befreiend, entlastend. Ich kann jetzt spielen gehen und mein Ding machen!“
Konsequenzen der Absorption: Das Eigene wegdrücken.Ich bin falsch, Todessehnsucht, Selbstverletzung, übertriebener Sport, Essstörungen.
Die hochsensible Person drückt das Eigene weg bzw. verliert sie dorthin gehend die Orientierung, da sie ja nicht oder nur wenig in den eigenen Qualitäten gespiegelt wird.
Sie versucht sich stattdessen in den Projektionen der anderen zu suchen. Mit dem Resultat, dass sich zunächst kein authentisches Selbstbild/Selbstbewusstsein entwickeln kann, sondern nur eines aufgrund einer verzerrten Spiegelung, die mir sagt: ‘Ich bin ok, wenn…ich etwas tue, wenn ich etwas Bestimmtes bin.’
Ich bin falsch. Es können Todessehnsüchte entstehen, tiefe Depressionen, Migräne oder andere, diffuse Schmerzsymptomatiken. Die Umwelt untermauert weiter: „Was ist denn schon wieder mit Dir los? Du bist ja so…x! Du bist komisch! Reiss’ Dich mal zusammen!“
Trifft das auch auf Dich zu?
Dann wirst Du wissen, dass es erstmal schwierig bis unmöglich ist Deine echtenGefühle, Bedürfnisse und Interessen zu spüren, zu benennen, geschweige denn mit zu teilen. Klar! Denn das war mal gefährlich: „Werde ich wieder beschämt, gedemütigt oder gar ausgegrenzt? Läuft das ins Leere?“
Wie soll das jetzt plötzlich so einfach gehen?! Es ist gut, wenn Du hier sanft und liebevoll mit Dir bist, wenn Du das bemerkst und dann eben nicht noch den inneren Kritiker, der die Einverleibung der ‚alten Umwelt‘ist, auspackst und Dich bestrafst.
Eine Klientin, im mittleren Alter, möchte ihren Beruf aufgeben und ihrem eigenem Herzen folgen. Für sie ist es schwer verständlich, warum sie das nicht einfach so kann; warum sie sich wie gelähmt fühlt, eingefroren, warum die Kritiker alles ausfahren, was sie ein Leben lang so angesammelt haben.
Perfektionismus oder Helfersyndrom können u.a. Folge sein. Beides entspricht der erlernten Strategie, dass ich etwas wert bin (=‚ich darf leben‘) und geben auf der anderen Seite das (vermeintliche) Gefühl von Kontrolle und damit Orientierung. So kann das Leben eines empathischen hochsensiblen Menschen nicht nur in der Kindheit, sondern auch später übermässig anstrengend sein: Nicht nur, dass er eben diese feine Antennen hat , aber diese Antennen wurden jahrelang im Bootcamp trainiert: „Wenn die anderen ok sind, dann kann ich auch ok sein.“
In einer Sitzung sagt eine Klientin: „ICH muss das alles im Blick haben, nur ICH kann (ihm) helfen, die anderen schaffen das einfach nicht!“ Das kann natürlich zum einen stimmen, denn HSPs haben so eine vertiefte Wahrnehmung von Situationen und Menschen, die manchmal auch geprägt sind von ‚Vorahnungen‘, einem tiefem ‚Wissen‘; wichtig ist in diesem Kontext aber, dass sie sich bewusst wird, dass sie selbst jetzt nicht in Gefahr ist. IHR Leben hängt JETZT nicht mehr davon ab, dass sie es schafft alles für alle zu klären!
Wenn das in ihr ‚ankommen‘ darf, wird ihr Leben schon um ein Vielfaches entspannter und sie kann in ihrer Hochsensibilität auch mehr Gabe als Auf-Gabe entdecken. Ausserdem wird Kontakt/Nähe etwas einfacher, da die Grundvorraussetzung eben nicht ist: Ich muss hier für den anderen Platz machen und/oder ich muss mich ganz doll anstrengen, damit dieser Kontakt bestehen bleibt.
Es können Panikattacken, Selbstverletzung (sich selbst ritzen oder schlagen) und/oder Essstörungen auftreten. Panikattacken sind häufig ein Zeichen dafür, dass das Wegdrücken des Selbst und allem was dazu gehört nicht mehr geht. Der Akt der Selbstverletzung oder Esstörung erlöst den inneren Druck und holt Dich (durch den Schmerz) in den eigenen Körper zurück.
Bei einer meiner Übungen zum Thema ‘Grenzen spüren’, sagt ein junger Mann zu mir: “Du darfst nichts von mir wollen!” und damit meint er nicht eine konkrete verbale Forderung von mir oder einer dritten Person, sondern aufgrund seiner erweiterten Wahrnehmungsfähigkeit, die Projektion von anderen und ihren Schattenseiten. HSP’s möchten am Liebsten, dass andere lernen ganz bei sich selbst zu bleiben, denn dann müssen sie das Unterschwellige/den Schatten nicht mittragen. Selbst ein Lächeln oder eine hingebungsvolle Geste von unserem Gegenüber kann zu viel sein, wenn sie aus einem Platz des Mangelskommt. Die Geste sagt zwar „Ich will Dir etwas geben, aber der Subtext ist: „Ich brauche Dich! Bitte hab‘ mich lieb, so wie ich das brauche, und nur so!“ Dann spürt ein hochsensibler Mensch ‘das Loch’, das er (wieder) füllen soll! Das macht Druck, Enge, Ängste. Panik! Es löst Selbstzweifel aus: Wieder muss ich in mir Raum für die anderen machen.
Wir können die anderen nicht kontrollieren, aber wenn wir alles deutlicher wahrnehmen können, dürfen wir jetzt NEIN sagen. Wir müssen nicht mehr alles stillschweigend mittragen:
Beispiel:
Während eines Seminars erlebe ich eine derartige Situation: Es gibt eine Tee und WC Pause. Als ich aus dem Bad komme, steht dort eine Teilnehmerin und ruft mir zu: „Ach, komm’ doch mal her, Du!“ und will mich wohl an ihre Brust drücken. (Tonlage= Du Kleine, Du Arme). Da ich sehr wach bin und sehr gut bei mir selbst, sage ich: „Danke X, aber ich brauche das gerade gar nicht.“ und gehe weiter.
Das ist der Ausstieg aus der Symbiose!
In der Mittagspause bemerke ich, dass sich ein Prozess bei ihr anbahnt. Ganz kurz verspüre ich das alte Gefühl ‚ich bin schuld, dass es X schlecht geht‘, aber ich weiss und spüre: Das stimmt nicht und kann es so ziehen lassen. (Hier finden wir übrigens auch die Wurzel des sogenannten ‚schlechten Gewissens‘, das niemandem nützt! Ein schlechtes Gewissen sagt: „Wenn ich wieder brav gewesen wäre, dann würde X sich nicht so fühlen!“)
Die Person X konnte aber einen für sich wertvollen Prozess durchlaufen. Hätte ich es (den Drücker) geschehen lassen, hätte ich mich wieder wütend/schwammig gefühlt, hätte das mit Kopfgedanken überlagern müssen: „Jetzt sei nicht so, war doch nicht so schlimm…“ und sie hätte auch nichts über sich selbst gelernt.
Zum Bild: Ausstieg aus der Symbiose. Das Unbewusste wird nicht mehr mitgetragen. Diese Personen müssen sich nun ihrer eigenen Aufarbeitung zuwenden. Es kann auch symbolisch für die Dis-Identifizierung mit dem konditionierten inneren Kind stehen, wodurch Du in Kontakt mit Deinen Verletzungen kommst um heil zu werden.
Was Dir noch helfen kann:
Körperorientierte Therapien, Körper – und Achtsamkeitsbasierte Arbeit.
Das empfehle ich nicht nur, weil ich so arbeite, sondern weil die körperorientierte Arbeit, Menschen ihre Eigenwahrnehmung (Interozeption) zurückgeben kann. Das Resultat ist, sich konkret und kraftvoll im eigenen Körper verankert und andere als separate Individuen wahrnehmen zu können. Es ermöglicht Selbstregulation, so dass Du diese nicht mehr im Aussen oder durch Alkohol, Drogen und Anderes suchen musst. Im Weiteren haben wir über unser körperliches Hiersein die Möglichkeit auch mit Erfahrungen, die im impliziten Gedächtnis gespeichert sind zu arbeiten.
Liebevolle Zwiesprache mit Dir selbst, wenn etwas Altes wieder getriggert ist. Das was passiert, benennen. Name it to tame it! (Bsp.: Puh, ich bin ja ganz schön getriggert, mein Herz schlägt schnell, meine Beine sind ganz fest, aber mein Bauch ist weich und warm..zum inneren Kind: Ich bin da, ich verstehe, dass Du Angst hast usw.)
Wissen.
Auf Manches hast Du keinen willentlichen Einfluss. Es ist keine ‚Mangelhaftigkeit’ Deiner Selbst: Neurobiologisch steht Sicherheit immer an erster Stelle. Wenn Dein Körper entscheiden soll Sicherheit oder Kontakt, entscheidet er sich für Sicherheit.
Dich im Kontakt üben:
Wann bist Du getriggert? Wann ziehst Dich aus Dir selbst raus, machst Dich ganz klein, wann strengst Du Dich überproportional an?
Sagst Du Deine Wahrheit? So wie ich oben: „Danke, aber das brauche ICH gerade gar nicht.“ oder „ NEIN, ich komme nicht, ich möchte heute gern allein sein.“ Oder lässt Du
Selbstfürsorge
Die obige Klientin, die das Gefühl hatte, dass nur sie helfen konnte, begann vermehrt für sich selbst zu sorgen: Sie zog bei ihrem Freund aus, so dass sie in Beziehung, aber auch allein sein konnte, sich Rückzugsorte schafft um sich auszuruhen, sich zu nähren und sich im Loslassen zu üben: „ER/Die ANDEREN schaffen das schon ohne mich!“ (Das gilt es erstmal auszuhalten! Der Sog doch wieder eingreifen zu müssen ist nicht zu unterschätzen!)
Diese Selbstfürsorge, mit der Du beginnst Dich selbst zu sehen und zu lieben, die auch ein wahrhaftiges Betrauern und Mitfühlen mit der eigenen Geschichte wird ist der beste ‚Schutz‘ und die Versicherung für Dich ein Leben in Fülle und Lebendigkeit zu führen.
Erkenntnis: So viel Nähe brauche ich gar nicht! Zerschlag’ Deine Konzepte von ‚Nähe’.
Einige meiner KlientInnen bemerken beim Entwirren und Erspüren ihrer Geschichte erst, dass sie gar nicht so viel Nähe benötigen, wie ihr Kopf das erzählt.
Solange Du noch in Deinen alten Wunden lebst (=Kontakt geht nur, wenn…), produziert unser Kopf und Kritiker Bilder von Nähe: „Feste Partnerschaft, bitte mit Kindern und alles ganz harmonisch… um Dich im gleichen Moment fertig zu machen, dass DU das ja nicht hinkriegst! Und dann schlägst Du Dich damit selbst – vielleicht jahrelang….ohne zu bemerken, dass das vielleicht gar nicht zu Dir gehört.
Selbst-Bewusstsein: Den Schmerz ins Licht halten und transformieren.
Kommst Du in Dein SELBST-BEWUSSTSEIN, indem Du das Verletzte hinter dem Konditionierten aufgebrochen und ins Licht gehalten hast, bemerkst Du erst wie stark und unabhängig Du bist. Du beginnst ganz andere, ganz neue Definitionen von Nähe für Dich aufzustellen und die alten Konzepte davon zu zerschlagen, denn auch die halten Dich klein.
Eine hochsensible Klientin, Entrepreneurin mit Angestellten und einem florierendem Business (wow, denke ich), wacht auf und bemerkt nach und nach: „Ich bin gut in mir, ich bin ‚gross‘, ich geniesse Zeit mit mir alleine.“
So bewegt sie sich aus der ‚Mangel-Frequenz‘ in die ‚Liebes-Frequenz‘ hinein.
Wir haben heutzutage die Tools und die Unterstützung (durch Therapie + Coaching, durchGleichgesinnte,die uns spiegeln können, durch Literatur) um es besser als unsere Eltern, Ahnen zu machen, aber DU musst losgehen, das kann niemand anderes für Dich machen: Bleib’ nicht wie Deine Umwelt, Deine Eltern oder Ahnen im konditionierten Kind und damit in ewigen Schuldzuweisungen stecken und damit in einem SELBSTWERT, der von weltlichen Gestalten und Formen und anderen Menschen abhängig ist.
Dann bist Du frei. Dann erkennst Du:
„Die anderen, das da draussen, meine Geschichte ist für mich da. Sie dienen mir, wie Sandpapier reiben sie das Künstliche von mir ab, damit ich meine Wahrheit erkennen kann! „
Literaturhinweise:The body keeps the score. Bessel van der Kolk
The brain of the highly sensitive person. Esther Bergsma
Foundations in Craniosacral Biodynamics: The sentient Embryo, Tissue Intelligence and Trauma Resolution.Franklyn Sills
The first time she drowned. Kerry Kletter (Roman)
Copyright:Wenn Du etwas aus meinem Text benutzen möchtest, wäre ich Dir dankbar, wenn Du dies mit Quellenangabe tust.