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Mit den Füssen voraus ins Leben. Schuldgefühle an ihrer frühen Wurzel erkennen und erlösen.
„Es ist gut. ich bin Dir nicht böse!“
Mit den Füssen voraus ins Leben.
Heute möchte ich Euch gern von einer Sitzung erzählen, in der meine Klientin ihre eigene Geburt noch einmal bzw. noch einmal neu, im Sinne eines Repatternings, erlebt hat. Repatterning bedeutet, dass wir das Erlebte zwar nicht löschen, aber aufgrund der neuronalen Plastizität unseres Gehirns neue (bestärkende) Erfahrungsnetzwerke knüpfen und so unsere Resilienz und damit auch unsere Lebendigkeit stärken können.
Die Absätze oder diese Zeichen (…) in meinem Text, zeigen längere Zeiten des Spürens und Erfahrens meiner Klientin an. Körperzeit ist eine ganz eigene Zeit, anders als lineare -> (Lese-)Zeit! Es ist ein Entstehen lassen und nicht ein vorwärts puschen.
Schon in ihrer ersten Sitzung erzählt mir meine Klientin von ihrer Geburt und ich spüre, dass hier der Ursprung für einige ihrer (Kompensations-)Strategien liegen. Unter Strategie verstehe ich alle verbalen und non-verbalen Verhaltensweisen, die wir uns schon früh aneignen, wie ich mit mir selbst und mit anderen da bin und in Kontakt trete.
Eine ihrer Strategien, die mir schon sehr früh deutlich wird ist das, was ich das Mittragen nenne: Schnell und mit feinen Fühlern erkennen, was andere brauchen: übernehmen, mitnehmen, lösen. Energetisch und tatsächlich. Dabei kann die eigene Wahrhaftigkeit und damit meine ich, dass ‚bestehen bleiben in der eigenen Person und als diese gesehen werden‘, ein stückweit oder ganz verloren gehen.
In meiner Erfahrung, hängt dies manchmal mit unaufgelösten, unbewussten Schuldgefühlen zusammen. Diese Schuld – und/oder Schamgefühle können schon prä – bzw. perinatal entstehen. Auch in diesem Fall ist das so, wie ich etwas später aufzeigen werde.
Zur ersten Sitzung
L. ist sehr lebendig bis unruhig, lächelt überwiegend. Ihr Ausdruck während unseres Gesprächs zeigt mir, dass sie sehr reflektiert ist, eventuell hochsensibel und hochbegabt.
Ich frage sie ob sie gut ihre wahrhaftigen Gefühle ausdrücken kann. Zunächst weiss sie nicht, was ich meine, da sie schon so daran gewöhnt ist, diese so zu verpacken, dass sie für ihre Umwelt gut verdaulich sind. Ein u.a. sehr typisches Verhalten für HSP.
In unserer ersten Sitzung arbeite ich zunächst über den Kontakt mit ihrem Körper. Der Cranio-Sacrale Rhythmus ist ebenso quirlig bis übererregt wie sie selbst. Nach ca. 1 Stunde zeigt sich mir das Thema ‚Jugendliche‘. Im Gespräch erwähnte sie vorab, dass sie schon einmal Cranio bekommen hat als sie ca. 14 Jahre alt war. Jetzt frage ich: „Wie ging‘ es denn der 14Jährigen?“ Zu der Zeit wurde sie stark gemobbt. Wurde zur Aussenseiterin. Ihre Hochbegabung wurde nicht erkannt bzw. wurde ihr geneidet.
Wir nehmen über die Empfindungen Kontakt zu ihrer 14Jährigen auf. Sie ist einsam. Über den Dialog mit dieser inneren Realität, also den Empfindungen der 14Jährigen, die immer noch in ihr wohnen und darüber, was dieser Anteil gebraucht hätte und wie sie als die Erwachsene in Kontakt mit der 14Jährigen gehen möchte, öffnen und lindern wir diese Wunde. Diese inneren Realitäten, das innere Team wirkt sehr kraftvoll. Wir spüren es vor allem dann, wenn wir Entscheidungen treffen wollen und uns dabei völlig ‚verknoten‘. An anderer Stelle werde ich vertieft darauf eingehen. So endet langsam unsere erste Sitzung.
Zweite Sitzung – Geburtsreise
Beim zweiten Mal erscheint sie direkt gelassener. Ich sage ihr, dass mir das auffällt und sie berichtet, dass sich Einiges verändert hat: “ Ich bin jetzt ehrlicher mit mir selbst und anderen. Ich akzeptiere meine Sensibilität mehr.“ Im Kontakt mit anderen fällt ihr auf, dass jetzt andere Menschen einfach und vermehrt auf sie zukommen, Kontakt zu ihr suchen. Sie muss sich nicht mehr anstrengen oder ‘etwas tun‘, um in Kontakt zu sein. Darüber ist sie freudig überrascht.
Zur Geburt erzählt sie mir Folgendes: „Bei meiner Geburt ist meine Mutter kurz gestorben. Sie (ihre Mutter) hat mir von dem Licht erzählt und davon, dass sie erst eigentlich gar nicht zurück kommen wollte.“ L. lag‘ mit den Füssen voran im Geburtskanal. Zunächst schien‘ das nicht problematisch zu sein, aber dann ging‘ es der Mutter immer schlechter und letztendlich wurde ein Notkaiserschnitt gemacht.
Geburtsprozess
Nachdem sie eine gute Weile auf meiner Liege angekommen ist und ich mich eingestimmt habe, lade ich sie ein:
„Wenn es sich stimmig anfühlt, schau‘ mal ob Du zurück in der Zeit reisen kannst bis zu der Zeit als Du in der Gebärmutter Deiner Mama warst, vielleicht noch ganz ganz klein, vielleicht schon reifer, grösser… Sei einfach offen für das, was kommt.“
Sie lacht: „Ich sehe wie das Spermium meines Vaters mit der Eizelle meiner Mutter zusammen kommt.“ (Empfängnis)
„Beobachte und schau‘ was es in Dir bewegt/auslöst.“
„Der Teil meiner Mutter fühlt sich weit und ruhig an. Der meines Vaters ..Es ist irgendwie lustig, aber auch ein wenig zu viel.“
„Jetzt bin ich auf einmal ganz gross.Ich fühle mich gut. Sehr selbstbewusst und stark!“ (Notiz: Es ist tatsächlich eine ganz andere Energie im Raum als die, der zuvor etwas unsicheren, quirligen L.)
Nach einer Weile bitte ich sie in slow motion vor zuspulen bis zum Zeitpunkt der Geburt:
„Ich spüre eine unheimliche Kraft in mir, in meinen Füssen, ich will rauskommen und am Besten gleich stehen und alleine gehen. So will ich das!“
Ich setze mich an die Füsse und gebe von dort aus sehr viel Druck. (Meine Hände formen symbolisch und tatkräftig den Muttermund.) Das findet sie gut, aber sie will gar nicht rauskommen. Das Selbstbewusste hat nun auch etwas leicht Bockiges („So oder gar nicht!“)
Irgendwann mache ich ihr den Vorschlag das ich mich mal ans Kopfende setze, damit sie spüren kann wie es ‚richtig‘ gewesen wäre. Ich setze mich ans Kopfende und gebe wieder muttermundmäßigen Druck.
„Hmm… mit den Füssen kann man erstmal die Zehen raushalten und wenn es einem nicht gefällt, was man dort findet kann man sie wieder zurück ziehen…das geht hier (sie meint mit dem Kopf) aber nicht….“
Es geht eine ganze lange Weile so.
Plötzlich sagt sie: „Jetzt sehe ich schon den Schnitt!!“ (Kaiserschnitt)
Sie spürt und ruft aus : „ICH BIN SCHULD! (Ich schreibe das in Grossbuchstaben, weil wir hier eine wichtige erlebte Erkenntnis haben) Ich fühle mich total orientierungslos und ohne Halt!“
Das Selbstbewusstsein von zuvor wandelt sich in das komplette Gegenteil und man kann fast greifen wie die Verunsicherung und die Schuldgefühle in L. ‚hinein gewachsen‘ sind.
„Was wäre gut für das Baby L. gewesen?“
„Wenn Sie mit mir geredet hätten, wenn sie mich gefragt hätten wie ich es möchte. (……)
Ich hätte mich dann umgedreht.“
„Ok! Ich drehe mich um!“
Dann beginnt der Prozess der Geburt*. Es fühlt sich für sie jetzt ‚harmonisch‘ an. Sie sieht rote und orange Farben. (*Während des Prozesses arbeiten wir wie bei einer Geburt zusammen. Sie schiebt sich durch meine Hände, presst, drückt, dreht…bis der ganze Körper durch ist.)
Nach diesem Geburtserleben lasse ich sie einen Moment in Ruhe liegen. Dann nehme ich Kontakt auf, indem ich meine Hand zu ihrer lege und sage: „Wie schön dieses Baby ist. Ich freue mich dass Du da bist. Das haben wir gut zusammen gemacht! Teamwork!“ Es folgen ein paar Tränen der Freude und Erleichterung.
„Was wünschst Du Dir noch?“ „Das Du meine andere Hand auch noch hältst.“ (Ihr kommt dann ein Bild wie Mama und Papa sie an der Hand halten, sie in der Mitte. Sehr rund!)
Das war ein guter, einsichtiger, kraftvoller Prozess für sie. Jetzt ist sie für 2 Monate in ihrer Heimat. Wie passend!
Unsere (Lebens-)Erfahrungen reihen sich wie auf einer Perlenkette auf. Wenn ich an ‚eine Perle‘ heran komme, diese berühre, dann bin ich zumindest indirekt auch mit allen anderen im Kontakt. Daher ist es nicht immer ausschlaggebend umgehend mit dem ‚Urspungsthema‘ zu beginnen. Hier war es zum Beispiel zunächst der Kontakt mit einem jüngeren Anteil. Wir können also über Erfahrungen, die scheinbar nichts mit der ursprünglichen Wunde zu tun haben einen ersten wichtigen Kontakt zu unerlösten Themen finden!
Mit lichtvollen Grüssen,
Katrin Kelly