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Eine Narbe mag nicht heilen…

Eine Narbe mag nicht heilen. Wie unerlöste traumatische Ereignisse die Heilung behindern.

Wie konnte ich nur so naiv daran gehen?!?

Schmal-lippig und voller Selbstvorwürfe sitzt meine Klientin vor mir.

Mit ‚daran‘ meint sie die kürzliche Geburt ihres ersten Kindes. Sie ist frustriert, wütend. Geradezu entrüstet. Auch darüber, daß ihr Kind letztlich per Kaiserschnitt auf die Welt kam. Die Narbe bereitet ihr zudem größere Probleme u.a. weil sie einfach nicht vollständig ausheilt. Ausserdem fühlt sich die Narbe taub an und „ich kann sie einfach nicht anfassen!“ Ihre Wut, ihre Härte sich selbst gegenüber ist deutlich, aber sie ist nicht körpertief; so paradox es klingen mag, sind diese mentalen Strukturen ein Versuch den Schmerz, das erlebte ausgeliefert sein und die Angst nicht (erneut) spüren zu müssen.

Über die Geschichte und die dazugehörigen mentalen Bewertungen werden wir nicht wirklich weiterkommen, aber es ist oft wichtig, das auch dies erstmal wirklich gehört wird. So frage ich zunächst etwas weiter nach. Zum einen sie etwas besser kennen zu lernen und um zu sehen wann ihr Körper reagiert und sie diese Reaktion wahrnimmt.

Sie ist wütend darüber, daß ihre Ängste gar nicht wahrgenommen wurden. Das es überhaupt kein Verständnis gab. Nach Wehentropf und PDA „musste“ der Kaiserschnitt sein. „Ich wurde gar nicht gefragt!“ Beim Kaiserschnitt fühlte sie sich gelähmt, bis in die Arme hinein. Das Baby wurde kurz zu ihr gelegt, aber dann sackte ihr Kreislauf ab und ihr wurde schlecht. Plötzlich schaut sie mich an und sagt mit Überraschung: “ Ich bin jetzt etwas aufgeregt!“ Sie spürt ihren Körper. Die Tür öffnet sich.

Ich lade sie ein zu spüren: Wo und auf welche Art und Weise zeigt sich denn Deine Empfindung der Aufregung (zum Bsp. als Herzklopfen? Enge im Hals? Oder ganz anders?). Durch diese Erforschung wird eine Empfindung wie Aufregung ‚konkreter‘ und dadurch weniger bedrohlich. Resourcierte Körperorte (wie ein stabiler Kontakt mit der Rückenlehne), die wir zuvor schon benannt hatten geben der Empfindung von Aufregung hier einen sicheren Rahmen. Die Klientin kann diesen Ausdruck nun einfach spüren und erlauben. Nach einer kurzen Weile legt sich die Aufregung wieder und ich lade sie ein sich auf meine Liege zu legen.

Nach einem ersten Orientieren, zurecht ruckeln und sich ankommen lassen, frage ich sie nach einiger Zeit: „Wie ist es jetzt? Was nimmst Du gerade wahr?“

„Der rechte Fuss fühlt sich an als würde ich stehen. Er ist in Halbachtstellung. Anders als der Linke, der ganz normal da liegt.“ Beide Beine fühlen sich aber insgesamt sehr angespannt und gehalten an.

„In meinem Resonanzfeld fühlt es sich so an als wäre Dein Fuss voller Wut.“

„Das ist interessant, daß Du das sagst. Unter der Geburt wollte ich, daß mein Mann mein Bein hoch hält, wenn die Wehen kamen und er hat das einfach nicht hingekriegt. Das hat mich so wütend gemacht!“

Ich lade sie ein, jetzt das auszudrücken, was sie ihm vielleicht in dem Moment gern gesagt hätte, wenn sie gekonnt bzw. sich selbst die Erlaubnis dazu gegeben hätte. „Warum kannst Du das nicht?! Bist Du blöd? Das ist doch nicht so schwer!“ Dadurch, daß sich die Worte und die dahinter liegenden Empfindungen mit dem Atem verbinden, lösen sich nun Härte und (Selbst-)Bewertung in Tränen auf und wir berühren ihre Empfindung der Hilflosigkeit und dem Gefühl der Ohnmacht, die sich hinter dieser wütenden Oberfläche verstecken. Ich lade sie ein, wenn es stimmig für sie ist, mit dem Fuss auszutreten, als würde sie etwas von sich wegtreten.

Sie berichtet, daß ihr Oberkörper ganz heiss wird und sich ihr Bein, insbesondere der Fuss lebendiger anfühlt. Etwas durfte auftauen und sich entladen. Dem geben wir erstmal Raum und Stille zum nachspüren. Die Moleküle im Raum verändern sich. Sie landet ein stückweit mehr in ihrem Körper. Die mentalen Strukturen beruhigen sich. Für mich fühlt sich dieser Prozess an als würden wir von einer vollen, lauten, heissen Strasse in die kühle Weite und heilige Stille einer Kirche treten.

Eine Weile später bin ich mit meinen Händen unter ihrem Kreuzbein und mit meiner anderen Hand sehr zart berührend auf Höhe der Kaiserschnittnarbe.

„Was bräuchte die Narbe von Dir?“

„Das ich sie nicht abstosse……Das sie dazu gehört“

„Ahaaa… Ist Dir das denn recht?“

„Ja, natürlich. Das wünsche ich mir sogar!“

„Das wird sie aber freuen, daß Du das sagst!“

Wow, das sind ja jetzt schon ganz andere Töne, oder?

Ich nehme meine Hand oberhalb der Narbe nun weg, weil ich das Gefühl habe, daß ich dort nun störe. Und, siehe da: Sie legt ihre eigene Hand dort hin und sagt zeitgleich und mit Nachdruck: „Ich möchte meine Hand dort hinlegen. Es ist als würde meine Hand nun sagen: JA! Du gehörst dazu!“ Ich bestätige:“Ja, genau!“

Möchtest Du der Narbe noch etwas sagen?

„Ja. Ich hoffe, daß es so bleibt!“ ups…plötzlich sind wir zurück in der Kopfstimme mit den hohen Erwartungen…

„Das hörst sich ja ganz schön fordernd an…“

„…ja, da ist jetzt irgendwie Traurigkeit…nein, vielleicht eher Zweifel. Die Narbe hat sich gefühlt zusammen gezogen als ich das gesagt habe.“

„Vielleicht geht es anders?“

Zärtlich streichelt sie die Narbe und sagt: „Ich wünsche mir wirklich, daß Du zu mir gehörst.“ Ihr Körper wird wieder etwas weicher.

„Was braucht die Narbe noch an Zuspruch o.Ä.? Vielleicht gibt es etwas, daß sie sich von Dir wünscht, vielleicht etwas das Du täglich machen könntest, damit ihr beide immer mehr zueinander gehört…?“

„Berührung.“

„Okay,gut.“

Wir sind eine lange Cranio-Weile da und zum Abrunden wünscht sie sich, daß ich sie sanft ausstreiche (Arme und Beine.)

Nach einigen Wochen meldet sie sich kurz bei mir und berichtet, daß die Narbe nun gut verheilt ist und das sie wieder besser da ist. Einen zweiten Besuch bei mir hat sie gebucht. Es war nicht notwendig.

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