Blog
Die (Ur-)Oma in der linken Schulter.
„Unsere Lebenserfahrungen und Prägungen aus dem
eigenem oder dem Ahnenfeld sind wie an einer Perlenkette
aufgereiht. Berühre ich eine Perle, berühre ich alle. Bis zum Ursprung.“
Prägungen aus dem Ahnenfeld als Symptom im Hier + Jetzt.
Nachdem ich mich nach dem (privaten) Auszug/Wegzug von Berlin nun für eine Weile in NRW aufhalte, durfte ich hier gleich eine Frau behandeln, die u.a. über Schmerzen in der linken Schulter klagte.
Für die erste halbe Stunde verlief die Sitzung in Stille. Ein Ankommen. Irgendwann zieht es mich zu ihrer linken Seite und ich halte ihren linken Arm.
Dieser lässt wirklich gar nicht los, aber ich halte ihn weiter und spreche ihn innerlich an: „Das ist ok. Du musst auch gar nicht loslassen. Ich erwarte nichts
von Dir! Ich halte Dich einfach nur, ok?“ Auch meine Klientin bemerkt nun dieses ’strengeHalten‘. Nach einer Weile frage ich sie: „Was ist
denn da wohl los? Was würde Deine Schulter wohl sagen?
„Ich möchte mich immer am liebsten von der linken Seite abwenden…und kaum
ausgesprochen dreht sie ihren Kopf schon nach rechts. Aber dieses Ausweich-manöver scheint mir gerade weder ratsam noch heilsam. Ich lade sie ein
ihren Kopf wieder zurück zu bringen.
„Ich habe immer das Gefühl mich verteidigen zu müssen.
Selbst, wenn ich mit Menschen zusammen bin, die ich sehr mag, fragt die Schulter immer wieder:“Wann ist es endlich vorbei?!“ Aus ihrer Stimme
nehme ich wahr, daß dieser Zustand sie sehr schmerzt, da sie Sehnsucht nach Verbindung hat.
Das, was dort an Verteidigung und Schutz gehalten ist, darf sich durch das Spüren so wie ein gesehen und gehört werden ein stückweit lösen bzw. sich in
seiner Qualität verändern. Es gibt wohl einen Anteil in ihr, der Begegnung
vorwiegend als überwältigend, bedrohlich, den eigenen Raum gefährdend wahrnimmt, obwohl die Bedrohung im Hier und Jetzt gar nicht (mehr)
existiert. Mein Eindruck ist auch, dass in ihrer Prägungsgeschichte eine Art Verbot, das sich verkörpert hat, entstanden ist: „Ich darf mich nicht abgrenzen, nein sagen, ich muss meinen Raum immer offen halten sonst…“
Später erzählt sie mir, daß ihr Vater sich umgebracht hat, kurz nachdem sie das
Elternhaus verlassen und ‚ihr eigenes Ding‘ gemacht hat. Danach musste sie zurückkehren und alles und alle ’schultern‘. Dazu musste sie die Zähne zusammen beissen und sich ganz fest machen. Sie war 16.
Ganz grob könnten wir auf folgendes Muster schliessen: Wenn ich meins mache, meinen Raum einnehme, dann passiert etwas Schlimmes, daher
muß ich besser alles für alle mittragen.
Das Problem ist, so können wir uns in Begegnung nicht wohlig
fühlen. Wenn Begegnung nur ein schultern, ein was muss ich tun? bedeutet und unser Nervensystem auf Verteidigung eingestellt ist. Ausserdem fehlt
die Grundvorausetzung für angenehme Nähe: Wenn der Blick immer ins Aussen, also von uns selbst weg gerichtet ist, kann ich nie ganz in mir selbst
landen. In diesem Fall ‚hütet‘ die Schulter natürlich auch noch die große Trauer, die Wut und den Schmerz, der eingekapselt wurde, da sie damals
funktionieren musste.
Während ich meine Berührungsposition verändere, lege ich zunächst mein Seil mit etwas Abstand an ihre linke Seite und lade sie ein dieses
als ihre feste (Außen-)Grenze wahrzunehmen. Ihr Körper atmet direkt tief auf. Das sagt mir schon, daß ihr Körper die Grenze wahrgenommen hat und ihr Nervensystem beginnt sich zu regulieren. Sie selbst sagt irgendwann: „Ja das tut schon gut. Die Verteidigung darf weniger werden…“
In Stille halte ich nun ihre beiden Schultern. Wir lassen das bis jetzt Erlebte erstmal wirken. Plötzlich sagt sie, daß Bilder ihrer Oma (Mutter
ihrer Mutter), die sie gar nicht kannte auftauchen. Sie erzählt, daß ihre Oma wohl eine hochsensible Frau gewesen sei, die nach der Geburt ihres 4. Kindes in ein ‚Irrenhaus‘ verfrachtet wurde. Für 18 Jahre! Wahrscheinlich aufgrund einer postnatalen Depression. Mit dieser aufsteigenden Erinnerung wird ihr ganzer Körper nun weicher. Ihr wird deutlich wieviel Verteidigung ‚Weiblichkeit‘ in ihrer
Ahnenlinie benötigte….warum ‚weich sein‘ gefährlich war.
„Jetzt spüre ich die große Kraft und den Spirit meiner Oma. Mein ganzer Körper wacht auf und ich fühle mich stark. (…) Sie haben sie irgendwann
aus dem Irrenhaus rausgeholt (aber nur wegen Hitler) und dann hat sie ihr altes zu Hause angezündet, ist auf die Autobahn gerannt und wurde überfahren…“ Während sie spricht kommt sie aus der restlichen starren, strengen Kontrolle
heraus und ihr ganzes Sein wird lebendiger, rosiger, voller.
„Ja das ist schrecklich, aber ich spüre die eigentliche große Kraft (meiner Oma), die hier zu einem letzten Befreiungsschlag ausgeholt hat. Ich fühle mich bestärkt, sogar machtvoll….aber auch befreit, weil ich nun weiss, wo es hingehört.
Interessant war für mich auch noch zu erfahren,
daß sowohl ihre Tochter so wie ihr Sohn ‘Probleme’ mit der linken Schulter haben… Wir müssen nicht immer die ganze oder die
Geschichte überhaupt kennen. Wir folgen einfach den Wegweisern des Körpers.
Trauma ist im Körper nicht in der Geschichte! Für den Kopf mag diese Sitzung sprunghaft er-scheinen, nicht sinnhaft, aber all unsere Erfahrungen inklusive die unserer Ahnen sind wie an einer Perlenkette aufgereiht. Berühre ich eine
Perle in der Lebensgeschichte, zum Beispiel überkörperliche Symptome wie in diesem Fall, gelange ich irgendwann auch zur nächsten und nächsten…bis zu ihrem Ursprung.
Unsere Geschichte kann nicht gelöscht werden und das ist auch gut so, wir haben hier etwas damit zu tun, zu heilen. Stattdessen können wir über den Körper eine neue Geschichte schreiben, so daß ihr Körper irgendwann auf Begegnung und
die damit verbunden Reize anders reagieren kann. Der Reiz wird nicht mehr als bedrohlich wahrgenommen, sondern einfach als Energie oder sogar Freude. Die Schulter darf unten bleiben.
Mit forscherischen Grüßen,
Katrin Kelly










